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April 24, 2024

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100 Jahre Federico Fellini

Am 20.Januar 2020 wäre der wichtigste italienische Filmemacher aller Zeiten, der Maestro unter den Autorenfilmern, 100 Jahre alt geworden.

Schrauben wir noch ein wenig an der Fallhöhe, bevor wir damit beginnen, den Mythos Federico Fellini für eine Weile zur Seite zu schieben. Zum Beispiel mit Zitaten großer Kollegen. David Lynch gestand einst: „Ich liebe Fellini. Seine Filme haben etwas Besonderes. Sie haben Atmosphäre. Sie bringen einen zum Träumen. Sie sind so magisch und lyrisch, überraschend und phantasievoll. Der Mann war einzigartig. Würde man seine Filme eliminieren, würde ein großes Stück Kino fehlen. Es gibt nichts Vergleichbares.“

So auch Mr. Mullholland Drive nennt seine Filme „überraschend“ oder vielleicht diese Hymne von Martin Scorsese: „Es reicht nicht, Fellini einen Filmemacher zu nennen. Er war ein Maestro, und für eine Generation von Filmliebhabern war er wirklich das Kino. Fellinis Werk ist eine Schatzkiste. Man öffnet sie, und da ist eine Welt von Wundern, funkelnde Visionen von Schönheit, Terror, Absurdität, wo das Alte und das Moderne eins werden, wo alle Barrieren zwischen Wirklichkeit und Fantasie vor deinen Augen zerbrechen.“
Keine Frage: Die Meinungen über Federico Fellini und seine Filme sind ehrfurchtgebietend.

Fellini selbst sagte einmal: „Ins Kino zu gehen ist wie die Rückkehr in den Mutterleib, du sitzt da still und meditativ im Dunkeln, wartest darauf, dass das Leben auf der Leinwand erscheint. Man sollte mit der Unschuld eines Fötus ins Kino gehen.“
Er meint das natürlich nicht auf sein Werk bezogen, aber verstehen wir es ruhig als Einladung: in sein Kino.
Es führen ebenso viele Wege nach Rom, wie es Wege gibt, sich dem Leben Fellinis zu nähern. Mindestens einer davon führt sogar nach Rom. Fellini hat seine Biographie stets als Ausgangspunkt und Rohstoff verwendet und den persönlichen Blick auf sein Leben damit tief im Oeuvre verwoben. Wer Fellini lieben lernen oder seinen 100. Geburtstag zelebrieren will, sollte also mit jenen Filmen beginnen, die das besonders mitreißend tun. Fellinis Roma, der im Jahr 1972 in die Kinos kam, ist da ein gutes Beispiel: Der Film beginnt im Jahr 1939, als der junge Fellini, hier gespielt von Peter Gonzales, von Rimini aus nach Rom zieht. Von all den klugen Interpretationen hat der Maestro gleich selbst die cleverste und amüsanteste geliefert. Er sagte später: „Roma ist eine Art Tagebuch, das fast zu gleichen Teilen von der Gegenwart und von der Erinnerung lebt und neben realen auch imaginären Begebenheiten enthält. Eines erscheint mir freilich sicher: Der Betrachter dieses Films wird Rom anschließend nicht mehr als Postkartenstadt sehen, sondern als eine lebendige Metropole, in der nicht nur Steine, sondern auch die Menschen reden.“ Statt sein Leben in das formelhafte Korsett zu zwängen, das heute „Biopic“ heißt, hat Fellini diese Zeit als collagenhaften Kapitelrausch inszeniert, bei dem er oft in jene surreale Bilderwelt springt, die man heute von ihm kennt. Fellini nutzt dabei sozusagen das Biografische als Zündung für eine Explosion ins Fantastische.

Es ist wohl einer der Gründe, warum Fellinis Kino noch heute so überwältigend ist. Dennoch nahm man ihm genau diese Stoßrichtung anfangs übel. Seine frühen Filme Die bittere Liebe (1952) und vor allem Die Müßiggänger (1953), in dem er seine Jugend in Rimini an der italienischen Adriaküste als Setting nimmt, waren noch stark von einem bitteren, sozialkritischen Humor und einem neorealistische Blick geprägt. Als Fellini dann zwei Jahre später La Strada – Das Lied der Straße vollendete, mit seiner Frau Giulietta Masina in der der Hauptrolle der Gelsomina, warf ihm das Lager des orthodoxen Neorealismus vor, ebenjenes verraten zu haben, weil er sich nicht politisch genug zeigte. In einer Replik von Fellini auf einen verbalen Angriff des Drehbuchtautors und Theoretikers Cesare Zavattini beschreibt Fellini seine sich damals verändernde Arbeitsweise sehr schön: „So könnte man sagen, dass es sich bei meinen Filmen nicht um einen sozialen Realismus, sondern um einen Realismus des Persönlichen handelt.

Das Wesentliche bleibt doch stets, dass der Betrachter und Beschreiber der Realität Mittler ist zwischen der lebendigen und beunruhigenden Wirklichkeit, die ihn umgibt, und jener synthetischen Realität, die er selber repräsentiert.“
Fellinis Meisterwerk – ok, eines davon – bleibt natürlich La Dolce Vita – Das süße Leben, das 1960 ebenso Skandal wie Kassenschlager war. Einmal, so erzählte Fellini, sei er an einer Kirche vorbei gegangen, an deren Tür ein Schild mit den Worten stand: „Betet für die Errettung der Seele des öffentlichen Sünders Federico Fellini.“ Die Seitenhiebe auf die Kirche, der bitterbös entlarvende, doch stets komische Blick auf die feine Gesellschaft und die Politik Roms in den Fünfzigern, waren für ebenjene anscheinend zu viel. Der Film ist auch mit Blick auf Fellinis Biografie und die Vermischung jener mit der Fiktion eine interessante Wegmarke. Denn hier castete Fellini zum ersten Mal jenen Schauspieler, der bis zuletzt Fellinis Alter Ego auf der Leinwand sein sollte. Marcello Mastroianni, der nur von Anita Ekgerg überstrahlt wird.
Die Verschmelzung Mastroiannis und Fellinis wurde nur wenig später in Achteinhalb (1963) vollendet, in dem Fellini davon erzählt, wie ein erfolgreicher Regisseur nach dem Riesenerfolg nicht weiß, wie er weitermachen soll mit seinem achteinhalbten Film.

Ach, es gäbe noch so viel zu erzählen und zu analysieren! Aber wir wollten sie ja an dieser Stelle vor allem mit Fellini anfixen – als Neu- oder als Wiederentdeckung zum 100. Deshalb wieder zurück an den Anfang, zu dem, was Fellini uns, dem Kino und vielen anderen großen Regisseuren gegeben hat. Scorcese zum Beispiel – sonst immer so aufgeräumt und streng – wird bei Fellini zum Fanboy und schwärmt: „Fellinis Werk schien für mich und meine Freunde neue Bereiche des Möglichen zu eröffnen. Wir sahen uns seine Filme an dem Tag an, als sie anliefen, und während wir warteten, dass es dunkel wurde, wussten wir, dass wir überrascht, entzückt, und vielleicht verändert werden würden.“ Terry Gilliam wiederum, der als Regisseur mit Fellini auch die Liebe zu hirn- und budgetsprengenden Sets teilt, nennt Achteinhalb als jenen Film, der ihn am meisten geprägt hat: „Wenn Fellinis Alter Ego durch den dunklen Korridor geht, und sich mit einem Tapdance die Sorgen abschüttelt – das ist für mich die Essenz des Kinos.“

Ein schönes Bild und eine schöne Interpretation. Fellini starb ab 31. Oktober 1993 Rom – und genauso stellen wir uns den Abgang des Maestros vor: Ein beschwingter Gang durchs Dunkel ins Licht – und ein letzter Tapdance für sein geliebtes Publikum.

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